Magische Stimmung und authentische Spieler: Der unerwartete Verlauf der EM
Dieser Sommer hatte eigentlich alle Zutaten, um ein blöder Sommer zu werden: Es gab Hochwasser in Süddeutschland und auch danach ständig Regen und Gewitter. Um mich herum waren alle krank und EM-Vorfreude im Land? Fehlanzeige! Und das ging nicht nur mir so: Laut einer Umfrage von infratest dimap Ende Mai hatte etwa die Hälfte der Befragten signalisiert, bis zu dem Zeitpunkt kurz vor Start des Turniers eher wenig oder kein Interesse für die EM aufzubringen.
Und doch kam alles anders: Trotz allem blüht eine gerade magische Stimmung im Land auf. Zum einen lag das an den tollen europäischen Gästen im Land. Ich fand es schön, unterwegs in Köln überall feiernde Fußballfans zu sehen. Ich habe unzählige „Gib fünf“ verteilt – im Zug nach Süddeutschland an einen schottischen Fan im Kilt, in der Kölner Innenstadt an belgische und rumänische Fans, bei einem Besuch in Berlin an euphorische türkische Fans nach dem Einzug ins Viertelfinale.
Die Internet-Memes waren mein Markieren: Deshalb bin ich nicht der größte Fußballfan: Diese EM war Gold wert! Es gab brutal witzige Videos von „nach links und nach rechts“ hüpfenden orangenen Niederländern. Von Anhängerinnen und Anhängern verschiedener Fußballnationen, die sich vor allem damit messen, welches Land die bessere Küche hat. So haben zum Beispiel albanische Fußballfans eine Packung Spaghetti vor ihren italienischen Rivalen durchgebrochen. Vom Saxofonisten, der in der Fanzone für gute Stimmung sorgt. Und natürlich der gute alte Balkonultra, der seine Message „Pyrotechnik ist doch kein Verbrechen“ inbrünstig aber doch nachbarschaftsfreundlich vom Balkon grölt – und damit selbst bei Pyrotechnikgegnern zumindest für einen Ohrwurm sorgen hat.
Aber auch die Nationalmannschaft hat mir sehr viel Freude bereitet. Und das lag nicht nur daran, dass sie zum ersten Mal seit sechs Jahren wieder gut gespielt haben und endlich die Hoffnung aufkam, dass sie es vielleicht ganz weit schaffen könnten (auch wenn ein spanisches Handspiel uns dazwischenkam). Es lag vor allem daran, wie authentisch sich die Mannschaft präsentieren durfte. Die Meme-Maschinerie machte auch vor der deutschen Elf keinen Halt – den Anfang machte Florian Wirtz mit seinem Ranking der Kartoffelgerichte (normale Kartoffeln auf die 1), das sogar zum Ballermann-Hit wurde.
Wer hätte auch gedacht, dass sich eine liebenswürdige, aber unfreiwillige Komik entwickelt, wenn man die Jugendlicher und Schlaftabletten der Nation, Florian Wirtz und Jamal Musiala, in Presseauftritten zusammen setzt. Der DFB hat den Spielern bei diesem Turnier viel Freiheit gegeben, Moment der Mannschaft aus dem Trainingslager ins Internet zu posten. David Raum beim Telefonat mit den Großeltern, Joshua Kimmich beim vollbekleideten Sprung in den Pool, Deniz Undav bei der Zimmer Tour im Trainingslager.
Die Spieler wirkten befreit, konzentriert und ganz Internetdeutschland hatte das Gefühl, zusammen mit der DFB-Elf auf Klassenfahrt zu sein. Jetzt ist die Klassenfahrt erstmal vorbei, aber das Nächste kommt bestimmt.
Die EM hat uns abgeholt, die Bahn früher nicht: Natürlich war nicht alles perfekt, zumindest nicht. Und auch bei einer Klassenfahrt gibts ja schlechtes Wetter – oder man strandet, so wie viele EM-Besucher, wegen der Bahn. Erst letzte Woche ist das der niederländischen Nationalmannschaft passiert, die deshalb in den Flieger steigen musste und eine Pressekonferenz verpasste.
Die Bahn hat einst zu wenig Sonderzüge eingeplant. In Gelsenkirchen müssen Fans teilweise 2,5 Stunden alleine zum Bahnhof, und auch am Bahnhof selbst stehen sie noch drei Stunden, um den Fans die Beine in den Bauch zu pflücken. Beim ersten Spiel der Österreicher in Berlin strandeten dutzende Fans in Passau – Schienenverkehr fuhr nicht, es gab Personen auf der Bahn, und naja, die Österreicher wissen es ja auch: „Die Deutsche Bahn ist im Oasch“.
Die Bahn sprach von Problemen durch die eingeschränkte Infrastruktur und Hochwasserschäden – da habe man das Maximum rausgeholt. Andererseits sagten sowohl die Lokalbehörden als auch die Deutsche Bahn lange Zeit zu, sich auf dieses Großevent vorzubereiten. Schade, dass bei vielen Gästen bei der EM der Eindruck vom Deutschlandbesuch durch Verspätung und Ausfälle getrübt wurde.
Was lief bei dieser EM besser als bei den letzten und was waren Ihre EM-Highlights? Lassen Sie uns darüber diskutieren! In den Kommentaren auf WDR.de oder auf Social Media.